von Werner Hildebrand
„Wenn ich mit der Schule fertig bin will ich Detektiv werden!“ Mit dieser Aussage überraschte mich Julius, damals 16 Jahre alt, bei meinem ersten Projekteinsatz im Mothers’ Mercy Home (MMH) im November 2012. „Ich will herausfinden, warum die Dinge passieren, die hier so passieren“, erläuterte er mir auf mein „Warum das denn?“
Julius ist einer der 18 jungen Erwachsenen des ersten Jahrgangs im MMH, der die Secondary School im Dezember 2013 abgeschlossen hat (vergleichbar mit dem deutschen Gymnasium) und aufgrund der lokalen Bestimmungen mit Erlangen der Volljährigkeit sein bisheriges Zuhause verlassen musste. Loise will Köchin werden, sich spezialisieren und später eine eigene Patisserie betreiben. Sie hat schon im MMH immer in der Küche geholfen und dem Koch über die Schulter geschaut. Zur Zeit absolviert sie ein Praktikum in einer Hotelküche.
Doch etliche Schulabgänger tun sich sehr schwer mit der Berufswahl. Auf der einen Seite sehnen sie sich in Berufe wie Accountants, die immer im schicken Anzug ins Büro gehen TV-Moderatoren und Journalisten, die bahnbrechende Nachrichten verkünden und IT-Spezialisten, die die neue digitale Welt beherrschen. Doch die konkreten Anforderungen und Kompetenzen für diese Berufe entsprechen häufig nicht dem eigenen Profil. Aber diese Erkenntnis muss erst einmal wachsen. Und dann ist ein Plan B gefragt.
Exit Program
Damit die jungen Menschen in dieser entscheidenden Lebensphase nicht auf sich allein gestellt sind hat Cargo Human Care ein sogenanntes Exit-Program beauftragt, das jedem Einzelnen den Übergang von Heim und Schule in eine fundierte Berufsausbildung und ein eigenständiges Leben ermöglichen soll. Gemeinsam mit der CHC Sozialarbeiterin vor Ort, Mary Wanjiku, haben wir 2012 dazu eine Strategie und ein Konzept erstellt. Mit dem ersten Schul-abgänger-Jahrgang ist das Exit Program nun in Umsetzung und wird stetig weiterentwickelt. Dabei stehen Berufsberatung, Anleitung zur Selbstreflektion und Förderung der Eigeninitiative im Vordergrund. Aber auch die Anbindung an die eigene Ursprungsfamilie sowie die Orientierung in der kenianischen Gesellschaft spielen eine wichtige Rolle.
Virginia ist eine derjenigen, die auch schon lange weiß, welchen Beruf sie später ausüben möchte. Sie hat immer wieder im CHC Medical Center vorbeigeschaut und das Gespräch mit den Angestellten dort gesucht. Für ihre Wunschausbildung zur Krankenschwester hat sie allerdings nun noch eine große Hürde zu meistern. Sie hat nicht die erforderliche Mindestnote im Schulexamen erreicht um an einem der Institute zugelassen zu werden. Aber sie verliert ihr Ziel nicht aus den Augen. Sie wird ab Mai diesen Jahres eine zweijährige Ausbildung im Bereich Community Health (Sozial-/Gesundheits-wesen) beginnen. Wenn sie diese erfolgreich abschließt, kann sie damit die fehlende Note für die Krankenschwesterausbildung ausgleichen.
Überzeugte Förderer
Dass bei Virginia der Plan B greift, und das Exit Program überhaupt umgesetzt werden kann, ist neben dem CHC Team vor allem einer Gruppe überzeugter Förderer zu verdanken. Sie haben sich bereit erklärt, diesen jungen Menschen im Rahmen von Voll- und Teilpatenschaften den Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen. Sie finanzieren sowohl Ausbildung als auch den Lebensunterhalt. Dabei summieren sich die Kosten schnell auf Beträge von monatlich bis zu 200 Euro. Diese engagierte Unterstützung empfinden die Geförderten als Privileg und Motivation gleichermaßen. Alle unsere 18 Schulabgänger werden ab Mai 2014 eine Berufsausbildung beginnen. Das Spektrum umfasst neben den bereits erwähnten Ausbildungsrichtungen auch Elektriker, Schreiner, Hair & Beauty Care, Graphiker, IT, Kommunikation und Finanz- und Wirtschafts-studien.
Julius hat ( heute ) ein gutes Abschlussexamen der Secondary School in der Tasche, Erfahrungen aus einem mehrmonatigen Praktikum im Logistik- und Produktionsbereich eines Hightech-Kaffeeverarbeiters und einen klaren Karriereplan. Ab Juli 2014 wird er an der University of Nairobi Criminology mit dem Schwerpunkt Forensik studieren. Auf meine Frage, wo er denn mit diesem Beruf arbeiten könne, erläutert er mir, dass neben kriminaltechnischen Abteilungen der Polizeikorps auch Banken, Versicherungen und große Konzerne, Forensiker in den Bereichen Betrug und Sicherheit neuer Technologien beschäftigten. Darüber hinaus stellten auch viele Behörden Kriminalisten zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ein. Julius ist offensichtlich gut vorbereitet. Ich bin überzeugt, dass Julius seinen Weg gehen wird.