Von Jochen Remmert / FAZ
01. Dezember 2008:
Es ist noch früh am Morgen, doch die Kinder springen schon aufgeregt durch die alten Baracken, in denen sie gerade zum letzten Mal die Nacht verbracht haben. Sie wissen, dass das kein gewöhnlicher Tag ist. In wenigen Stunden werden sie in das neue Haus des Mothers’ Mercy Home in Kiambu nordöstlich der kenianischen Hauptstadt Nairobi einziehen.
Mit dabei sind Elisabeth, Peter und der kleine Eli, drei der 84 im Mothers’ Mercy Home lebenden Aidswaisen, die selbst bei der Geburt mit dem Virus infiziert wurden. Für sie ist es besonders wichtig, dass in dem Neubau auch eine Medizinstation untergebracht ist, denn sie sind auf eine genau abgestimmte Medikamentengabe angewiesen. Gelingt sie, haben diese Kinder eine genauso hohe Lebenserwartung wie die nicht infizierten Mädchen und Jungen im Heim. Ohne die Therapie würden Elisabeth, Peter und Eli wahrscheinlich bald an den Folgen der Immunschwächekrankheit sterben.
Sicherheit und Geborgenheit zurückgeben
Dass die 84 Aidswaisen aus den Baracken künftig sicher in einem festen Steinhaus wohnen können, das mit hellen Vierbettzimmern, fließend Wasser, Duschen, Krankenzimmern und einer Medizinstation ausgestattet ist, verdanken sie vor allem einem Mann, Fokko Doyen. Als der Flottenchef der Lufthansa Cargo AG vor rund zehn Jahren vom Schicksal der rund 1,7 Millionen Aidswaisen in Kenia Näheres erfuhr, entschloss er sich zu helfen. Zusammen mit Mitstreitern wie dem ehemaligen Chefarzt Sven Sievers gründete er die Hilfsinitiative Cargo Human Care. Dabei ging es zunächst einmal darum, den ehrenamtlichen Einsatz von deutschen Fachärzten in Buru Buru, einem von zwanzig Armenvierteln in Nairobi, zu organisieren. Alsbald kam die Idee hinzu, die Blechbaracken des Waisenhauses, das die Anglikanische Kirche nur mit dem ehrenamtlichen Einsatz der „Mothers“, der Frauen aus den Gemeinden, betreiben kann, mit einem Neubau und medizinischen Einrichtungen auszustatten. Dass dieser Traum des Flugkapitäns nun Wirklichkeit werden konnte, ist vor allem den Lesern dieser Zeitung zu verdanken, die bereitwillig spendeten, um diesen Kindern etwas von der Sicherheit und Geborgenheit zurückzugeben, die sie mit dem Tod ihrer Eltern verloren haben.
Diözesanbischof Timothy R. Mbuthia von der Anglikanischen Kirche von Kenia ließ bei der Eröffnung des Hauses keinen Zweifel daran, dass es seiner Kirche ohne die Hilfe aus Deutschland nicht möglich gewesen wäre, ein solches Haus zu bauen. Dennoch will auch die Diözese Mount Kenia South ein Viertel der Baukosten von rund 200.000 Euro aufbringen.
Engagierte Helfer
Werner D’Inka, Mitherausgeber der F.A.Z., wies bei der Eröffnungsfeier darauf hin, dass es trotz der bürgerkriegsähnlichen Unruhen, die Kenia seit Anfang des Jahres tief erschütterten, in Rekordzeit gelungen sei, das Projekt in die Tat umzusetzen. Tatsächlich begannen im April dieses Jahres die Bauarbeiten, obwohl Präsident Mwai Kibaki und Oppositionsführer Raila Odinga im Streit um die Macht nach den Präsidentenwahlen vom Dezember große Teile des Landes in blutige Unruhen gestürzt hatten, die rund 1700 Menschen das Leben kosteten. Rund 300.000 Kenianer waren zeitweise auf der Flucht. Noch im März hatten etwa 60.000 Männer Frauen und Kinder in nächster Nähe des Mothers’ Mercy Home in einem Flüchtlingslager Schutz vor marodierenden Banden gesucht.
Doch auch die Unruhen brachten den Zeitplan des Projekts im Mothers’ Mercy Home nicht ins Wanken. Das dürfte auch dem Einsatz von Corinna Röhricht von Cargo Human Care zu verdanken sein. Die bislang im Controlling der Lufthansa Cargo tätige Röhricht übernahm die Federführung des Bauprojekts und sorgte auf etlichen Reisen nach Nairobi in Zusammenarbeit mit der Anglikanischen Kirche dafür, dass alle Arbeiten im Zeitplan erledigt wurden – ungeachtet aller Wirren. Funktionieren konnte und kann das Projekt des Vereins Cargo Human Care aber nur, weil sich auch der Vorstand der Lufthansa-Frachttochter hinter das Engagement gestellt hat und nach wie vor die ehrenamtlich tätigen Ärzte und Helfer unentgeltlich nach Kenia und zurück transportiert. Dass Karl-Heinz Köpfle, Vorstand Operations, eigens für die Eröffnung des neuen Mothers’ Mercy Home mit nach Kenia gereist war, ist als Zeichen zu werten, dass die engagierten Helfer auch künftig mit dieser Unterstützung rechnen können.
Beruf erlernen
Die haben schon ein neues Projekt ins Auge gefasst, bei dem sie im Mothers’ Mercy Home helfen wollen: Es geht darum, neben dem neuen Haus ein Grundstück zu erwerben und darauf eine Lehrwerkstatt zu bauen. Bischof Timothy R. Mbuthia will so den Schützlingen des Waisenhauses die Chance geben, einen Beruf zu erlernen. „Es ist gut, den Kindern Essen, Schutz und Geborgenheit zu geben, aber es ist genauso wichtig, sie in die Lage zu versetzen, sich einmal selbst ernähren zu können“, sagt er.