Der neunjährige Ian wohnt mit vier Familienmitgliedern auf nicht einmal zehn Quadratmetern in einem Dorf in Kenia. Strom gibt es keinen, Spielzeug auch nicht.
Dank Cargo Human Care können die Geschwister immerhin auf eine gute Schule gehen.
Joe hält einen Holzstock in der Hand, mit dem er eine leere Fantaflasche über den Boden kickt. Refferendum versucht, die Plastikflasche mit seinem Holzstock zu stoppen, es gelingt ihm nicht. Joe jubelt.
Tor. Joe, 4, und Refferendum, 6, haben kein Zimmer voller Spielzeug. Die Brüder haben einen kleinen Hof vor ihrer Wellblechhütte in den Slums von Kabuku, 30 Kilometer nördlich von Nairobi, wo sie mit dem spielen, was herumliegt: Holzbalken, Scherben, Autoreifen. Weiter entfernen von ihrer Hütte können sie sich nicht, die Gegend ist unsicher. Erst kürzlich wurde ein vierjähriger Junge vergewaltigt.
Seit vier Jahren geht das so. Seit Mutter Esther überstürzt mit ihren vier Kindern loszog, nachdem der Vater ihre Tochter Harriet vergewaltigen wollte. „Er hat mich geschlagen, war ständig auf Drogen“, erzählt Esther mit ruhiger, brüchiger Stimme. „Mama, du musst weglaufen“, hatte der damals fünfjährige Ian zu ihr gesagt, und: „Mama, er bringt uns noch alle um.“ Esther mietet sich ein Haus in Kabuku. „Er hat alles behalten. Ich habe Klamotten auf den Boden gelegt, damit wir darauf schlafen konnten“, sagt sie.
„Ich wüsste nicht, wie das sonst gehen sollte“
Für ihre Wellblechhütte mit nicht einmal zehn Quadratmetern zahlt Esther 20 Euro im Monat. Seit sie im Oktober ihren Job verloren hat, kriegt sie selbst dieses wenige Geld kaum zusammen. Der Strom wurde bereits abgestellt. Esther zieht morgens los und fragt, ob jemand Hilfe beim Waschen oder Kochen braucht. Wenn es gut läuft, kann sie den Schulbus bezahlen. Wenn es schlecht läuft, hält sie Autos an – in der Hoffnung, dass jemand die Jungs sicher zur Schule bringt.
Wenn die Kinder gegen 18 Uhr von der Schule zurückkommen, machen sie die Hausaufgaben – auf der Sofalehne. Sie bereiten draußen das Abendessen zu, meist Ugali – ein Maisbrei – mit Bohnen. Das Billigste, was es zu kaufen gibt. Die Dusche ist ein 100 Meter entfernter Wasserhahn. Das Klo ist ein Loch im Boden. Sie teilen sich dieses Badezimmer mit 20 weiteren Personen. Gegen 19.30 Uhr gehen sie schlafen, mit der untergehenden Sonne. „Mama erzählt uns jeden Abend Geschichten“, sagt Ian. Als Harriet noch bei ihrer Familie wohnte, schlief sie auf dem Sofa, die Füße baumelten herunter. Harriet verschwand vor fünf Monaten spurlos.
Seit drei Jahren lebt auch Bonfas bei ihnen. Als ihre Schwester an Aids starb, nahm Esther ihren heute 13-jährigen Neffen auf. Jeden Abend rücken Bonfas und Ian das Sofa vor die Tür, als Schloss, und um in der Raummitte Platz für die Isomatten zu schaffen. Sie haben Schlafsäcke, von CHC-Mitarbeitern gespendet, in der Nacht sind die Temperaturen in Kabuku einstellig.
Immerhin können die vier Jungs auf gute Schulen gehen. Sie haben Schulpaten, die monatlich 30 Euro an CHC überweisen. „Sie schicken uns auch Kleidung und Bälle. Ich wüsste nicht, wie das sonst gehen sollte“, sagt Esther. Eine dritte Klasse der Gartenstadtschule in Rodgau ist Ians Schulpate. Er besucht die private Caroline School und ist einer der besten in der dritten Klasse. Er will Pilot werden, sagt er. Wie die Leute von Lufthansa Cargo. Und ergänzt: „Ich will auch mal den Armen helfen.“ Manchmal kommt er hungrig von der Schule nach Hause, weil er sein Essen jemand anderem geschenkt hat, der mehr Hunger hatte. Ian möchte um die Welt und nach Deutschland reisen. Er möchte die Kinder kennenlernen, die ihm die Schule bezahlen.
Von Schülern für Schüler
Damit Ian zur Schule gehen kann, haben die Drittklässler der Gartenstadtschule Rodgau vor zwei Jahren gemeinsam die Schulpatenschaft für ihn übernommen.
Text Miriam Keilbach
Jule Nagel, 9 Jahre
Wir schreiben einander Briefe und zeigen uns in Videos, wie wir leben. Zum Geburtstag haben wir Ian einen Rucksack, einen Ball und eine Karte geschenkt. Er hat uns Armbänder und einen selbst gebastelten Ball geschenkt.
Svenja Kekeisen, 8 Jahre
In Nairobi habe ich gesehen, dass viele Leute keinen Wasserhahn und keine richtige Toilette haben. Hier ist es schöner zu leben, wir haben ein Bett, Strom und einen Garten mit Schaukel. Außerdem brauchen wir nur eine Viertelstunde zur Schule.