Mein erster kinderärztlicher Einsatz in Nairobi vom 29. August – 2. September 2007.
Viele Monate vor meiner ersten Reise nach Kenia hatte ich über einen guten Freund, Frank Zimmermann, von dieser humanitären Hilfsaktion von Lufthansa Cargo gehört. Angetan von der Idee, Kindern in der Dritten Welt in Form von Kurzzeiteinsätzen helfen zu können, wendete ich mich an die beiden Initiatoren von ‚Cargo Human Care’. Die beiden Piloten Fokko Doyen und Rainer Agne, die gemeinsam im Jahr 2004 mit befreundeten Ärzten in Eigeninitiative diese Hilfsaktion aus der Taufe gehoben hatten, informierten mich über ihr Projekt. In Kaiserslautern lernte ich einige Mitglieder kennen. Die Informationen, die ich dort in Wort und Bild erhielt, bestätigten meinen Entschluss.
Bei dem Mitarbeiterfest der Lufthansa Cargo im Mai 2007 lernte ich dann weitere Mitglieder von CHC kennen, inzwischen ein eingetragener Verein. Meine Frau und ich wurden so nett und freundlich aufgenommen, dass wir ad hoc unsere Mitgliedschaft beantragten.
In den folgenden Monaten war dann mein Hauptinteresse, mich über die medizinische Situation in Kenia zu informieren und mit meinem gynäkologischen Kollegen, Dr. Sven Sievers, einen gemeinsamen Termin für den Trip nach Nairobi zu finden. Die Maxime des Vereins, ‚Neulinge’ nur gemeinsam mit „alten Hasen“ – er wird mir diese Bezeichnung verzeihen – beim ersten Einsatz reisen zu lassen, habe ich als sehr angenehm erlebt.
Tja, und dann ging es endlich los. Zuvor hatte ich natürlich alle Impfungen gecheckt, mich mit Dollars ausgestattet und ein paar medizinische Utensilien besorgt, die mir für die Reise sinnvoll erschienen. Trotz aller Infos und Berichte von den CHC – Freunden blieb natürlich einiges unvorstellbar und die Spannung stieg täglich.
Wie schön, als dann früh morgens am Mittwoch um 1.50h die MD 11 in Frankfurt abhob. Von Anfang fühlte ich mich sowohl von Sven Sievers als auch von den Piloten incl. „Checker“ Jörg sehr freundlich aufgenommen und akzeptiert. Dieses Gefühl begleitete mich während der gesamten Reise und gab enorme Sicherheit. Eine wichtige Grundlage für den Erfolg meiner „ersten Mission“. Der Flug in der Frachtmaschine war absolutes Neuland für mich. Meine viele Fragen wurden mit freundlichen Infos beantwortet. Und das „Doppelbett“ hinter dem Cockpit war so angenehm, dass ich trotz meiner Spannung und Aufgeregtheit für 3 Stunden in einen festen Schlaf verfiel. Über Ägypten erlebte ich einen phantastischen Sonnenaufgang im Cockpit. Nach ca. acht Stunden Flug und einer Stunde Zeitunterschied landeten wir im bewölkten Nairobi. Ruckzuck waren wir aus der Maschine raus; am Einreiseschalter lernte ich erstmals die Ruhe und den langsameren afrikanischen Takt kennen. Als Transitreisende mussten wir bei der Einreise dieses Mal nur 20$ bezahlen, beim nächsten Mal können es auch aber wieder 50$, hängt eben vom Officer ab.
Es ging dann durch unbekannt turbulenten und chaotischen Verkehr incl. Abgasgestank zum Hotel. Schnell war das Zimmer bezogen und nach einer kurzen Dusche fuhren wir dann zum SOS-Medical Centre nach Buru-Buru, einem der größten Slums in Kenias Hauptstadt, und zwar mit Henry, unserem einheimischen Fahrer, der auch schon ein Teil der CHC -Familie ist. Auf der Fahrt strömten viele fremde Eindrücke auf mich ein. Ich war froh, dass ich ein Jahr zuvor Südafrika bereist hatte, da ich ansonsten ob der vielen Impressionen irgendwann schlapp gemacht hätte.
Am Dienstagabend hatte ich um ca. 18 Uhr meine Praxis in Offenbach beendet, am Mittwoch um ca. 15 Uhr begann „meine Praxis“ in Afrika – eine kaum vorstellbare Situation respektive Veränderung. Im Medical Centre wurden wir sehr freundlich empfangen; Sven stellte mich Jennifer, Dr. George, Beatrice, Mike…. vor und machte mich mit den Räumlichkeiten und den Abläufen vertraut. Um die wichtigsten vorhandenen Medikamente, deren Packungsgröße, Dosierungen etc. kennen zu lernen, wurden mir alle Fläschchen auf den Schreibtisch gestellt, was mir anfänglich hilfreich war. Und dann ging’s los!
Mein geschätzter Kollege, Dr. Bausch, hatte mich in Deutschland über einige zu erwartende Krankheitsbilder informiert, doch dieser Mittwoch „toppte“ meine Erwartungen und Ängste, auch wenn im nachhinein glücklicherweise alles bestens verlief. Die vielen schweren bronchialen Infekte, teilweise mit Atemnot und wohl schon lange bestehend, waren nicht so überraschend, jedoch in ihrer Ausprägung viel massiver als in der Heimat. Bei einem kleinen Jungen mit einer massiven Asthmaattacke vermisste ich die Möglichkeit zur Inhalation, doch Afrika ist Afrika, und so musste ich eben mit anderen Maßnahmen das Problem lösen.
Bei den vielen Durchfallpatienten war mir dann Beatrice sehr behilflich. Sie ist ein ‚Medical Officer’, d.h. eine Qualifikation zwischen Krankenschwester und Arzt; ähnlich den amerikanischen ‚Paramedics’. Sie ist eigenständiges Arbeiten und Behandeln gewohnt und kennt natürlich die landestypischen Krankheiten wesentlich besser als ich. Dadurch, dass es in den Slums kein sauberes Trinkwasser gibt und keinerlei sanitäre Anlagen vorhanden sind und die hygienischen und räumlichen Verhältnisse miserabel sind, leiden viele Kinder einerseits an Magen-Darm-Infekten und andererseits auch an vielen infektiösen Hauterkrankungen, die man in der Häufung und Ausprägung bei uns nicht kennt.
Meistens kamen die Mütter gleich mit mehreren mehr oder weniger kranken Geschwistern. Einigen Kindern konnte ich mit einfacher Beratung oder gängigen Schmerz- oder Fiebermedikamenten helfen. Diese Mittel sind bei den Slumbewohnern nicht vorrätig, da sie bei einem monatlichen Einkommen von 10-20$ unerschwinglich sind. Dabei ist es für mich nicht vorstellbar, dass afrikanische Kinder schmerzunempfindlicher sind und weniger Fieber haben als die deutschen Kinder. An den Tagen, an denen wir in Buru-Buru sind, werden die Medikamentenkosten vom Verein getragen und so war ich froh, dass ich einigen Kindern wenigstens auf diese Weise helfen konnte.
So ging die Zeit rasch vorbei und der Patientenstrom wollte nicht abebben. Und dann lag auf einmal ein ganz kleines Baby vor mir. Laut Angaben der 20jährigen Mutter 14 Tage zuvor geboren. Nach meiner Einschätzung war es mindestens 6 Wochen zu früh geboren und wog jetzt gerade mal 1800g und hatte eine ausgeprägte Bronchitis. Ein klarer Fall für eine Intensivstation – in Deutschland; hier in Nairobi waren Mutter und Kind von der Klinik mangels des nötigen Geldes abgewiesen worden. Das Kind nuckelte zwar an der Brust der Mutter, doch war es viel zu schwach, um richtig zu saugen und die Mutter viel zu mangelernährt, um richtig Milch zu haben. Die Schwestern und ich taten alles, was möglich war. Das Baby erhielt per Spritze Medikamente und die Nahrung in den Mund geträufelt. Am nächsten Tag war altersentsprechende Milch organisiert und die Mutter wurde intensiv aufgeklärt, beraten und auch darauf eingeschworen, jeden Tag das Kind wieder bei uns vorzustellen. Die Bronchitis besserte sich vor meiner Abreise. Ich bangte, ob die Mutter mit ‚Baby-Lucy’ weiter zu den regelmäßigen Gewichtskontrollen ins Medical Centre kommen würde. 10 g in zwei Tagen waren nicht viel!
Erschöpft und stark beeindruckt, aber auch zufrieden fuhren Sven und ich dann gegen 19 Uhr zum Hotel. Dort hatten wir uns mit unserer Crew verabredet und gingen gemeinsam Essen. Zu erzählen gab’s ja wirklich genug.
Um 8 Uhr am nächsten Morgen ging’s dann wieder mit Henry zum Medical Centre. Im Garten des Innenhofes und in dem Wartezimmer ‚stapelten’ sich die Patienten. Dieser Tag verlief zum Glück nicht so dramatisch wie der vorherige. Das so nette SOS-Team bot uns mittags eine leckere warme Mahlzeit an, eine angenehme und kommunikative Pause.
In der Zwischenzeit waren dann die zahnärztlichen Kolleginnen, Bärbel und Helga, mit den Piloten Anselm und Niklas eingetroffen. Mit ihnen Oliver, ein TV – Redakteur von PRO 7, und sein Kameramann, um in den nächsten Tagen Filmaufnahmen unserer Arbeit zu machen. Tags drauf trafen mit der nächsten Cargomaschine Tessa, unsere HIV-Expertin von der Uni – Frankfurt, und der Tontechniker ein. Organisiert hatte dies alles Fokko, der Flottenchef von Lufthansa Cargo; ein perfekter Plan, der bestens funktioniert hat.
Alle, der Vorstand des Vereins, die medizinischen ehrenamtlichen Helfer und die Piloten, waren sich darin einig, dass die geplante PR- Maßnahme sinnvoll für CHC ist. Dadurch darf es jedoch nicht zu einer Behinderung unserer Arbeit kommen und die Darstellung unserer Tätigkeit darf das Verhältnis zu unseren Patienten nicht beeinträchtigen. In mehreren Diskussionen mit dem Filmteam unterstrichen wir, wie wichtig eine realistische Darstellung unserer Hilfe ohne reißerische Attitude ist.
Am Freitag ging es dann samt Filmteam frühmorgens wieder zum SOS-Kinderdorf. Natürlich waren einige Kompromisse bzgl. einzelner wiederholter Kameraeinstellungen notwendig, jedoch war ich überrascht, wie unproblematisch Sven Sievers und ich unserer Arbeit nachgehen konnten. Ich hatte das Gefühl, dass die Patienten des Medical Centres sich nicht zu sehr irritiert gefühlt haben. Auch meine Mitarbeiterin Beatrice fand es nicht befremdlich; natürlich hatten wir zuvor unseren Kollegen, Dr. George, der dort halbtags arbeitet, und die leitenden Mitarbeiter informiert.
Am letzten Tag unserer Reise besuchten wir dann bei herrlichem Sonnenschein das kirchliche Waisenhaus ‚Mothers` Mercy Home (MMH)’. Hier versorgten auch an diesem Tag Bärbel und Helga in einem mehr als improvisierten ‚Op’, einem ca. 4×5 m großen Raum mit einer gepolsterten Holzpritsche, zahnärztlich ihre Patienten. Ich hatte die Aufgabe John, einen 13 jährigen herzkranken Jungen, der 2005 auf Kosten von CHC eine neue Herzklappe bekommen hatte, nachzuuntersuchen. Zuvor hatten wir ihn mit unserem Bus aus einem entlegenen Dorf von seiner Oma, bei der er seine Ferien verbracht hatte, abgeholt. Die Verantwortlichen vom MMH versuchen zu Recht, die Kinder, die noch Verwandte haben, immer wieder mit ihnen in Kontakt zu bringen. Sein körperlicher Zustand war sehr erfreulich, sein gerinnungshemmendes Medikament nahm er regelmäßig ein und die notwendigen einmal jährlichen Spezialuntersuchungen hatten statt gefunden.
Ich war froh, MMH kennen zu lernen, da es sich ja CHC auf die Fahnen geschrieben hat, dieses Aids – Waisenhaus am Rande Nairobis zu renovieren und zu erweitern. Mir als Arzt für Kinder- und Jugendmedizin gehen da natürlich perspektivisch sehr viele Dinge durch den Kopf. Das Konzept der direkten medizinischen Hilfe bezüglich akuter und auch lebensbedrohlicher Erkrankungen im Medical Centre und der Fürsorge um Aids – Waisen verlangt einerseits Sachverstand und zugleich Augenmaß.
Auf jeden Fall erscheint mir diese Verquickung sehr sinnvoll!
Nach dem traditionellen Besuch des ‚Fruit Market’, bei dem man das Gefühl hat, in einem Land zu sein, in dem die wunderbarsten Früchte und Gemüsesorten gedeihen und man durch die Farbenpracht teilweise verzaubert wird- wie schön, wenn es in der Realität für alle Kenianer so wäre-, ging es dann nachts wieder zurück